Es wäre schön, wenn das Fenster immer einen Spalt offen stünde ... D. Lynch

von Urs Weyerke, 2017

Wir treffen uns montags, seit vielen Jahren, penetrant jeden Montag.
Kurz bevor wir Gefahr laufen, irgendwo Stammgast zu werden, also wiedererkannt zu werden, wechseln wir das Etablissement. Beständig sind wir darin. Beständigkeit als permanente, penetrante Selbstvergewisserung. Es lohnt sich: Wir sind immer noch dieselben.

Wir sind doch immer noch dieselben?
Sind wir überhaupt noch dieselben?
Wer sind wir eigentlich wirklich?

Diesen Montag sind wir Wayne oder Kevin Coyne, der Dalai Lama, Shaun Ryder oder Iniesta.
Nächsten Montag könnten wir Ian Curtis sein.

Thomas malt sich fünf Jahre lang selbst, penetrant jeden Monat, mit Farbe auf Leinwand.

Er vergewissert sich seiner selbst, immer wieder,
in wechselnden Settings,
in wechselnden Rollen,
in wechselnden Formaten,
mit abgründigem Ernst und
gleichzeitig
anarchischem Frohsinn.
Und immer mit unbändiger Lust:
Wer bin ich gewesen?
Wer bin ich gerade?
Wer könnte ich gewesen sein?
Wer könnte ich noch sein werden?

Alles ist möglich! Welche Freiheit!

Gleichzeitig beständig, unverwechselbar in Farbe, Form, Ausdruck.
Alles, was wir tun müssen, ist, montags zu kommen. Und wir kommen.
Dann sind wir wir. Immer wieder. Das ist unser Lohn.

Sich jeden Montag zu treffen, ist wie eine alte und neue Lieblingsplatte gleichzeitig zu hören.

Alles, was Thomas tun muss, ist, sich jeden Monat selbst zu malen. Und er malt sich. Fünf Jahre lang. Kompromisslos. Dann ist er er. Das ist sein Lohn.

Seine Portraits beschwören die gleichen Geister, die Montagsgeister:
Sehnsucht,
Energie,
Lebenslust,
Schmerz,
Vertrautheit,
Fremdheit,
Unsicherheit,
Wucht,
Zärtlichkeit,
Unabhängigkeit,
Abhängigkeit,
Licht,
Dunkelheit,
Freundschaft,
Liebe.

Wie gern haben wir daher montags den neuesten Entwurf oder das fertige Bild in Augenschein genommen, diskutiert, gedeutet.

Jetzt ist das letzte dieser Bilder gemalt.

Es ist beinahe so, als würden wir uns montags nicht mehr treffen – undenkbar.
Wir sind einfach nicht mehr die, die wir noch nie gewesen sind.

Frei nach Max Rieger: „Das hier ist einfach nicht mehr das, was es noch nie gewesen ist.“ (aus „Einfach“ von All diese Gewalt)