Babylon 2010

Beichtsstuhl bemalt, Ausstellung Galerie artobes 2010

Pressemitteilung
Die Galerie „artobes“ präsentiert in ihrer aktuellen Ausstellung den Werkzyklus „Babylon“ (2006-2010) des Düsseldorfer Malers Thomas Klefisch. Mit Bildzitaten aus dem Evangelium des Johannes oder aus der Legende über den Hl. Sebastian unternimmt Klefisch eine kritisch-ironische Neudeutung konträr zur offiziellen Kirchenlehre. Er versammelt unter dem Stichwort „Babylon“ in parabelhafter Weise ein Panoptikum des albtraumhaften Schreckens und der unverhohlenen Lüsternheit in seinen Bildern. Der Motivfundus besteht aus Szenarien des Bizarren und des Abgründigen.
Immer wieder tauchen Selbstporträts in den Bildern auf: Klefisch reflektiert nämlich in diesem Zyklus u.a. auch seine eigene Erziehungserfahrung, die ihn in den Kindheitstagen Religiosität eben nicht als eine spirituelle Bereicherung, sondern eher als eine Angelegenheit lediglich äusserlicher gesellschaftlich-familiärer Konventionen erleben ließ.
Geistes- und sittengeschichtlich hat die Vokabel „Babylon“ eine recht komplexe Bedeutung. In erster Linie spielt Thomas Klefisch auf den Reggae-Musiker Bob Marley an, der auf seiner LP „Survival“ den Song „Babylon System“ veröffentlichte. In der Rastafari-Religion, die ihre Anhänger auf Jamaika unter den Nachfahren der einstigen afrikanischen Sklaven hat, gilt die Vokabel „Babylon System“ heute als Synonym für eine „westliche“ Gesellschaft, die auf Unterdrückung und Rassismus basiert. Darüber hinaus sah Reformator Martin Luther seinerzeit das päpstliche Rom als die „Hure Babylon“ an.
Die apokalyptischen Visionen, die sich in der Offenbarung des Johannes finden, haben ihre Wurzeln u.a. im Schöpfungsmythos des antiken Babylon. In den diversen Umdeutungen der biblischen Überlieferungen erscheint Babylon schließlich als ein Ort des Unglaubens und der amoralischen weltlichen Begierden, also der fleischlichen Sünden und der kulturellen Dekadenz: Diese verworfene babylonische Stadt stilisiert das Neue Testament zu einem höchst gottesfeindlichen profanen Machtzentrum; und dies als Kontrast zum himmlischen Jerusalem, der Stadt Gottes.
In diesem Kontext erfahren in Klefischs Werkzyklus die Begriffe „Fleisch“ und „Blut“ eine drastische Umdeutung. In seinen Bildern lässt die Madonna nämlich nicht wie sonst die Züge einer entrückten Seligkeit erkennen, sondern stattdessen unverhohlen eine erotische Ausstrahlung. Damit stellt der Künstler ein Vorstellungsgebäude auf den Kopf, das von der katholischen Marienverehrung weit zurückreicht bis in die antike Philosophie in der Epoche der Zeitenwende. Wenn Thomas Klefisch einen Drachen auf das Schiff des Christoph Columbus stürzen lässt, das mit aufgeblähten Segeln durch ein Meer aus Blut gleitet, dann benutzt er mithin eine sehr alte und sehr komplexe Symbolik. Sie leitet sich aus dem alt-testamentarischen Blut-Tabu ab – Blut ist ein Synonym für das irdische stoffliche Leben.
Die pastoral gepredigte Überwindung der „fleischlichen Lüste“, d.h. der „animalischen Begierden“ beschreibt Sigmund Freud als Triebmodellierung. Im biblischen Sinne meint „Fleisch“ den gesamtem Bereich des Irdischen und Leiblichen, es ist die Sphäre des Menschlichen schlechthin. Und das bedeutet: Das Fleisch ist diesseitig und vergänglich. Hier setzen nun alle Religionen mit ihren Vorstellungen von Jenseits und Ewigkeit an, die sie mit einer Ideologie von Verzicht, Entsagung und Opferbringen („Fastenopfer“) verbinden.
Doch dem stehen im realen Leben allerlei Versuchungen entgegen: Hieronymus Bosch in seinen Bildern von menschlicher Sünde und Torheit der Darstellung von Dämonen und amorphen Wesen breiten Raum gegeben. Innerhalb einer solchen kunsthistorischen Traditionslinie tauchen in der babylonischen Bildwelt des Thomas Klefisch ein gehörnter Engel auf, desgleichen eine Frau, die an ihren Brüsten saugt, und als altbekanntes Symbol für die Begierde eine Schlange, die sich herausfordernd durchs Bild windet. Auf einem der Bilder thront auf einem abgesägten Baumstamm eine gefräßige grüne Heuschrecke („Pieta“), wie sie schon bei den alten Hebräern als Symbol für eine Geißel Gottes galt, als Zeichen für allerlei Plagen und Heimsuchungen. In der Traumsymbolik wird die Heuschrecke als Zeichen für weibliche Sexualität gedeutet. In Klefischs Gemälden trifft man vor allem immer wieder auf die weibliche Brust als Zeichen des erotisch-fleischlichen Reizes.